Sowohl die Schweiz als auch das Vereinigte Königreich leben ein Inseldasein in der EU – die Schweiz seit jeher, das Vereinigte Königreich seit Kurzem. Vor diesem Hintergrund gibt es viele Gemeinsamkeiten und auch gleiche Herausforderungen – insbesondere auch in der Landwirtschaft: Demographische Veränderungen, globale Wettbewerbsbedingungen, Klimawandel und gesellschaftliche Erwartungen an eine umweltverträgliche, ressourcenschonende und tiergerechte Landwirtschaft.
Während die Schweiz grundsätzlich eine klare Strategie hat und die hiesigen Landwirtinnen und Landwirte klare Vorgaben haben, was sie wie produzieren müssen, um am Markt und im Direktzahlungssystem ihre Abgeltungen abzuholen und in aller Regel dabei auch noch mitreden und mitgestalten dürfen, arbeiten die britischen Farmer innerhalb einer weit instabileren und unsichereren politischeren Kulisse, die meist top-down funktioniert.
Am Herbstanlass der IG Agrarstandort Schweiz IGAS konnte die Schweizer Agrarbranche aus erster Hand erfahren, wie die britischen Bäuerinnen und Bauern auf den Brexit und weitere gravierende Verwerfungen im Umfeld reagieren. Dabei entstand der Eindruck, dass die britischen Landwirtinnen und Landwirte Herausforderungen wie dem Klimawandel und den damit verbundenen Bestrebungen, nachhaltiger zu produzieren, trotz schwierigerem politischem Umfeld offener angehen als andere Länder.
Brexit, Pandemie und wirtschaftliche Belastungen
«Seit dem Brexit hat das Vereinigte Königreich fünf Premierminister erlebt, die britischen Landwirte haben sieben Minister und Ministerinnen für Umwelt und Landwirtschaft kommen und gehen sehen und wir haben König Charles als neuen Monarchen begrüsst», schilderte David Exwood, der Vizepräsident der National Farmers Union NFU – dem britischen Bauernverband. Nebst dem Brexit habe die britische Wirtschaft aber auch mit der weltweiten Pandemie, dem Krieg in der Ukraine sowie hoher Inflation zu kämpfen gehabt.
So waren die vergangenen Jahre für den britischen Handel geprägt von Herausforderungen und 2020 und 2021 stellten insbesondere die Agrar- und Ernährungsbranche vor grosse Schwierigkeiten: «Bedauerlicherweise zeigen die offiziellen Zahlen einen deutlichen Rückgang des Handelsvolumens mit Agrarlebensmitteln seit 2019», erklärte David Exwood. Insgesamt sei das Volumen um mehr als 20 Prozent zurückgegangen – dabei besonders betroffen waren die Kategorien Fleisch, Milchprodukte und Gemüse. Und während die Exporte stagnierten, seien die Importe im Vergleich zu 2019 um über 16 Prozent gestiegen.
«Im Jahr 2022 gab es eine leichte Erholung mit Exportwerten, die sich wieder denen von 2019 annäherten», erläuterte der NFU-Vizepräsident weiter. Trotzdem begleitete eine hohe Inflation die Exporte, was bedeute, dass der Anstieg nicht unbedingt auf verstärkte Exportaktivitäten zurückzuführen gewesen sei.
Farm to Fork
Anfang dieses Jahres war der Premierminister Rishi Sunak dann Gastgeber des ersten «Farm-to-Fork»-Gipfels. Es war der erste Lebensmittelgipfel dieser Art, bei dem die Agrar- und Ernährungsindustrie und die Ministerinnen und Minister der Regierung zusammenkamen, um Massnahmen zu erörtern, die notwendig sind, um die Widerstandsfähigkeit und Transparenz vom Erzeuger bis zum Verbraucher zu verbessern und die Produktivität zu steigern. «Tatsächlich konnten einige Verpflichtungen und Initiativen unter anderem durch das politische Engagement unseres Premierministers gestärkt werden», erklärte David Exwood.
So setze sich die NFU seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Entwicklung der Biotechnologie in der Landwirtschaft und im Gemüsebau ein und dafür, dass die Wissenschaft die Politik bestimme. «Eine der bedeutendsten Entwicklungen in diesem Bereich war daher die Verabschiedung des Gesetzes zur Präzisionszüchtung, das die Nutzung von Biotechnologie und Geneditierung in der Landwirtschaft fördert», sagte David Exwood.
Arbeitskräftemangel und Automatisierungsbemühungen
Ein weiteres drängendes Problem sei der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in der Landwirtschaft, das durch den EU-Austritt und die Covid-19-Pandemie noch verschärft wurde und zu erheblichen Ernteeinbussen und Lebensmittelverschwendung geführt habe, so David Exwood. So sei der Gemüsebau im Vereinigten Königreich jährlich auf etwa 40’000 Festangestellte und 70’000 saisonale Arbeitskräfte angewiesen. Diese hätten in jüngster Zeit allerdings gefehlt und eine Umfrage der NFU habe ergeben, dass allein in der ersten Hälfte des Jahres 2022 Lebensmittel im Wert von mehr als 60 Millionen Pfund aufgrund dieses Mangels verschwendet worden seien. Die Umfrage unter NFU-Mitgliedern im Gemüsebau habe ausserdem gezeigt, dass gut 41 Prozent der Befragten aufgrund von Schwierigkeiten bei der Arbeitskräftebeschaffung ihre Produktion reduziert hätten, um die Auswirkungen des Mangels zu minimieren. Die Regierung habe seither zwar ein neues Punktesystem für Einwanderung entwickelt und sich verpflichtet, das Saisonarbeiterprogramm bis 2023 auf 45’000 Visa zu erweitern. «Obwohl die Regierung Massnahmen ergriffen hat, reicht dies immer noch nicht aus, um den Arbeitskräftebedarf zu decken», erklärte David Exwood.
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Quelle: www.lid.ch