"Allein die Betrachtung der Recyclingfähigkeit einer Verpackung zeigt die Komplexität und Herausforderungen von Verpackungsentscheidungen auf. Damit sind Materialinput, Verarbeitung, Funktionalität, Marketing und Preis noch gar nicht berücksichtigt. Ein kleiner Einblick in die Zusammenhänge der gesetzlichen Voraussetzungen soll aufzeigen, wie wichtig die richtigen Entscheidungen sind, damit Verpackungen auch in Zukunft in erster Linie das Packgut optimal schützen sowie Umwelt, Natur und Mensch nicht schaden", schreibt Claudia Schuh.
"Seit 1. September gilt der neue Mindeststandard für die Bemessung der Recyclingfähigkeit von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen gemäß § 21 Abs. 3 VerpackG (im Folgenden "Mindeststandard" genannt). Hierbei handelt es sich um ein Begleitdokument des Verpackungsgesetzes (VerpackG), welches als Verwaltungsvorschrift für die Dualen Systeme zu verstehen ist. Der §21 des VerpackG verpflichtet die Dualen Systeme bereits seit einigen Jahren, Anreize zu schaffen, die Verwendung von Materialien und Materialkombinationen zu fördern, die zu einem möglichst hohen Prozentsatz recycelt werden können und die Verwendung von Rezyklaten sowie nachwachsenden Rohstoffen zu fördern. Der Mindeststandard beschreibt, welche Verpackungen als recyclingfähig gelten und wird von der Zentralen Stelle Verpackungsregister im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt unter Einbeziehung eines jährlich wechselnden Expertenrats jeweils zum 1. September neu veröffentlicht."
"Der am 01. September dieses Jahres veröffentlichte Mindeststandard enthält einige neue, interessante Definitionen und Vorgaben. Damit eine Verpackung als recyclingfähig gemäß Mindeststandard gilt, muss sie hochwertig und werkstofflich verwertet werden. Dies bedeutet gemäß aktueller Definition, dass Neuware in werkstofftypischen Anwendungen zu substituieren ist. Das, was oftmals als Downcycling oder Kaskade bezeichnet wird, gilt nun als hochwertiges Recycling. Ein Beispiel wäre eine Lebensmittelverpackung, aus der später ein Putzeimer oder eine Parkbank wird."
"Weiterhin wurden die Begriffe faserbasierte Verpackung und faserbasierte Verbundverpackung definiert. Der aktuelle Mindeststandard fordert einen Nachweis der Recyclingfähigkeit faserbasierter Verpackungen für nicht trockene Füllgüter. Trockene Füllgüter werden mit <15% Wassergehalt definiert, womit alle Obst- und Gemüseprodukte der Kategorie nicht trockener Füllgüter zuzuweisen wären."
Welche Relevanz haben diese Definitionen und Vorgaben?
"Um die Recyclingquoten zu erfüllen, werden mit relativ hohem wirtschaftlichem Aufwand Verpackungen recycelt, die ansonsten thermisch verwertet würden. Hierzu gehören beispielsweise Folien aus PE und PP, die kleiner als DIN A4 sowie PP-Folien, die größer als DIN A4 sind. Gelten diese als nicht recyclingfähig gemäß VerpackG, würde das Recycling für die Industrie noch unattraktiver werden."
"Durch die vermeintliche Annahme, dass faserbasierte Verpackungen nachhaltiger sind als Kunststoffe, werden diese in zunehmendem Maße durch Papier-, Papp- und Wellpappalternativen ersetzt. Um sowohl Feuchtigkeit und Qualitätsanspruch des Produkts als auch Kondensfeuchtigkeit in den Griff zu bekommen, werden oftmals Lacke, Additive und Beschichtungen eingesetzt. Diese sind mit bloßem Auge und in den Sortieranlagen nicht erkennbar und stören das Recycling."
Warum ist es wichtig, dass eine Verpackung als recyclingfähig gilt?
"Wie oben beschrieben, sollen recyclingfähige Verpackungen gemäß §21 des VerpackG gefördert werden. Um dies nach mehreren Jahren endlich umzusetzen, wird derzeit eine Fondlösung erarbeitet. Diese sieht vor, dass für nicht recyclingfähige Verpackungen ein noch festzulegender Betrag in einen Fond eingezahlt wird. Aus diesem Fond soll die Begünstigung der recyclingfähigen Verpackungen durch die Dualen Systeme finanziert werden. Verpackungen, die gemäß Mindeststandard als nicht recyclingfähig gelten, sollen somit teurer werden."
"Ab 2025 soll die Verpackungsgesetzgebung europaweit in einer PPWR (packaging and packaging waste regulation) vereinheitlicht werden. Der finale Gesetzestext ist noch nicht bekannt, im November 2022 wurde der erste Entwurf veröffentlicht. Diese europäische Verpackungsverordnung sieht nach derzeitigem Stand vor, Verpackungen, die zu weniger als 70% recyclingfähig sind, zukünftig zu verbieten. Welche Definitionen von Recyclingfähigkeit die europäische Kommission vorsieht und inwieweit sich der europäische mit dem deutschen Standard deckt, ist noch offen. Nach derzeitigem deutschem Stand würde die Vorgabe von 70%iger Recyclingfähigkeiten Einzelnachweise obligatorisch machen. Über diesen Einzelnachweis können Verpackungen, die nach der generellen Kategorisierung als nicht recyclingfähig gelten, den Status recyclingfähig erhalten. Hierfür müssen die Dualen Systeme entsprechende Nachweise erbringen."
"Diverse Handelsketten fordern von ihren Lieferanten recyclingfähige Verpackungen und haben bereits vor einigen Jahren begonnen, als nicht recyclingfähig geltende Verpackungen durch als recyclingfähig geltende zu ersetzen. Recyclingfähigkeit ist zur Bemessungsgrundlage von Nachhaltigkeit geworden - eine einseitige und unvollständige Bewertung der Nachhaltigkeit einer Verpackung."
Worin liegen derzeit die Probleme und Herausforderungen?
"Solange die Finanzierung der Begünstigung recyclingfähiger Verpackungen und solcher aus Rezyklat und nachwachsenden Rohstoffen nicht geregelt ist, bleibt die Gesetzesvorgabe des §21 VerpackG ungelöst. Der Einzelnachweis bietet erst einen wirtschaftlichen Vorteil, wenn die als recyclingfähig geltenden Verpackungen in ihren Beteiligungsentgelten an die Dualen Systeme, also den Entsorgungsgebühren, günstiger werden als nicht recyclingfähige. Solange unklar ist, was den Einzelnachweis genau ausmacht, solange dieser keinen Vorteil bietet und solange er zusätzlichen administrativen Aufwand bedeutet, wird ihn voraussichtlich kein Duales System umsetzen. Dies führt weiterhin vermehrt zur Substitution eigentlich nachhaltiger, kreislauffähiger Verpackungen und Materialien durch weniger ökologische und ökonomische Lösungen. Bereits jetzt schließen Recyclingwerke komplett oder stellen Maschinen ein; Investitionen in neue Werke werden gestoppt."
"Setzt sich dieser Trend weiter fort, wird speziell dem Kunststoff-Recycling zunehmend die Basis entzogen. Die Mengen an technisch einfach zu recycelnden Werkstoffen wie z.B. R-PET und PET gehen zurück. Gesetzliche Vorgaben in Form von Quoten steigen, aber die zur Erfüllung erforderlichen Mengen nehmen ab."
"Eine weitere Herausforderung stellen die in der Europäischen Verpackungsverordnung vorgesehenen Quoten für den Rezyklateinsatz dar. Um einen Kunststoff auf gleichem Niveau seines ursprünglichen Einsatzes zu zirkulieren, ist häufig ein besonders hoher energetischer Aufwand erforderlich. Gemeint ist z.B. das bottle to bottle Recycling. Wird im Gegenzug dazu aus einer Flasche eine Schale und verbleibt diese im Kreislauf, ist dies energieeffizienter als der Verbleib im Flaschenkreislauf. Wird aus einer PP-Schale im Lebensmittelkontakt ein Pflanztopf und verbleibt hier im Kreislauf, ist dies effizienter als der PP-Schalenkreislauf im Lebensmittelkontakt."
Fazit
"Sowohl auf länder- als auch auf europäischer Ebene werden Gesetze erlassen, deren Umsetzung bisher nicht eindeutig geregelt ist. Die einzelnen Länder der EU arbeiten derzeit auf unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen, was den internationalen Warenverkehr beeinträchtigt. In allen Stufen der Verpackungsherstellung und -entsorgung herrscht große Unsicherheit, was innovations- und investitionshemmend wirkt. Die Thematik ist derartig komplex und schwer verständlich, dass Verpackungsentscheidungen häufig nach gefühlter Nachhaltigkeit getroffen werden und die vermeintliche Erwartungshaltung des Verbrauchers den Maßstab vorgibt. Gleichzeitig wird der Kreislaufwirtschaft zunehmend der Boden entzogen."
Was kann man tun?
"Die bestehenden und in der Entwicklung befindlichen Gesetze haben zumindest einige gemeinsame Nenner. Auf Basis dieser haben die meisten Handelsketten und Verpacker entsprechende Verpackungs- und Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt. Jede Verpackungsentscheidung ist geprägt von Kompromissen und lässt sich an der jeweiligen Strategie orientieren. Einige Hochschulen und Universitäten haben Tools und Rechner entwickelt, mit denen sich Verpackungen sachlich vergleichen und CO2-Werte berechnen lassen. Mit einem kompetenten Team oder Partner können bereits heute bestmögliche Entscheidungen getroffen werden, die sowohl die aktuelle als auch die zukünftige Gesetzeslage wenigstens ansatzweise berücksichtigen und auch Zukunftsinvestitionen in verbesserte Recycling- und Verarbeitungstechnologien berücksichtigen. Die schlimmste Entscheidung ist, keine Entscheidung zu treffen. Jeder kann bereits heute seine Verpackungsentscheidungen an den wichtigsten Säulen der Kreislaufwirtschaft ausrichten."
Weitere Informationen:
www.lorentzen-sievers.de