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Ein Bericht von ING:

Die Corona-Pandemie hat unsere Einstellung zu frischen Produkten verändert - 4 Ursachen für verändertes Verbraucherverhalten

Die Corona-Pandemie hat vier wesentliche Veränderungen des Verbraucherverhaltens in Europa ausgelöst. Das wird auch weiterhin großen Einfluss auf die Obst- und Gemüseindustrie haben. Zum Einen führte es zu mehr Online-Einkäufen von frischen Produkten, zum Anderen ist eine Fortsetzung dieser Verhaltensänderungen zu einem gesünderen Konsumverhalten hin nicht selbstverständlich.

1. Der Wechsel von Offline zu Online; frische Lieferungen bis vor die Haustür
Der Online-Einkauf von Lebensmitteln verzeichnet seit März 2020 einen beispiellosen Zustrom an Neukunden. Das führte wiederum zu einer größeren Zahl an Omnichannel-Einzelhändlern, Lebensmittellieferdiensten und Unternehmen für Fertiggerichte und Mahlzeitenboxen. Im Jahr 2020 kaufte laut NielsenIQ jeder dritte Haushalt in Westeuropa Lebensmittel online ein. Das waren in 2019 noch 25%. In Großbritannien und Frankreich liegt der Online-Marktanteil am höchsten.

Auch anderswo nimmt der Online-Verkauf rasant zu. In Italien wuchs dieser im ersten Halbjahr 2021 um mehr als 40% und in den Niederlanden um mehr als 50%. Für Online-Lebensmittelhändler gehören Frischwaren im Allgemeinen zu einer der größten Verkaufssparten. Dies zeigt auch deutlich, dass es Online-Käufer nicht so zu stören scheint, wenn sie ihre eigenen Produkte nicht selbst aus dem Regal holen können.

Online-Lebensmittel haben weiter Marktanteile gewonnen
Der Anteil der Online-Lebensmittel am gesamten Lebensmittelumsatz in Frankreich und Großbritannien:

Quelle: NielsenIQ, IGD, *Frankreich basierend auf Januar bis Mai, UK-Prognose für das Gesamtjahr

2. Verschiebung zwischen "außer Haus" und "zu Hause"; Gleichgewicht wurde nicht wiederhergestellt
Angesichts des Lockdowns war 2020 offensichtlich ein Rekordjahr für den Verzehr daheim. Obwohl die meisten Restaurants inzwischen wieder offen sind, ist es interessant, dass sich das Gleichgewicht zwischen den Ausgaben für Lebensmittel außerhalb des Hauses und zu Hause wie zu Zeiten vor der Pandemie so nicht wieder eingestellt hat.

In den fünf größten Volkswirtschaften der Eurozone gingen die Umsätze im Außer-Haus-Verbrauch im zweiten Quartal 2021 noch weiter gegenüber dem Vorjahresquartal um 30 bis 50% zurück. Gleichzeitig sind im Jahr 2021 die Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel in der Eurozone noch höher geworden. Der deflationierte, inflationsbereinigte Umsatz lag bis Juli diesen Jahres um fast 6% höher als im vergleichbaren Zeitraum von 2019. Besonders bei Obst und Gemüse war der Umsatz im Einzelhandel stark auf dem Vormarsch. In Großbritannien stiegen laut Nielsen die Obstverkäufe um 2,1%, während die Gemüseverkäufe um 6,5% zunahmen. GfK-Daten für die Niederlande zeigen für das erste Halbjahr 2021 einen Anstieg der verkauften Obstmengen um 2,8% und bei Gemüse um 4,4%.

Deutlich geringerer Umsatz im ersten Halbjahr 2021 bei Essen und Trinken außer Haus 

Quelle: Eurostat

3. Großeinkäufe führen zu Veränderungen im Warenkorb
One-Stop-Shopping ist seit Beginn der Covid-Pandemie beliebter und die Menschen geben dann mehr für ihre Einkäufe aus. Sie gehen dann weniger in die kleineren Lebensmittelgeschäfte, um dort einzukaufen. Laut ING-Daten ging das Gesamtvolumen der Transaktionen van Debitkarten im Lebensmitteleinzelhandel in den Niederlanden im Juli 2021 um 4% zurück, während der Wert im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie um 6% anstieg. Obwohl die Leute die Geschäfte und Supermärkte weniger häufig aufsuchten, konnte ein erhöhte Nachfrage bei typischen 'Impulskauf'-Fruchtprodukten (wie Beeren) in vielen Ländern festgestellt werden.

Der allgemeine Aufwärtstrend bei den Verkaufszahlen wurde noch bei den Mahlzeitensets (aufgrund des vermehrten 'selbst kochen mit Grundzutaten') und Produkten mit längerer Haltbarkeit wie Karotten übertroffen. Salatschüsseln und trockene Blattsalate schnitten in dieser Zeit unterdurchschnittlich ab. Die anfängliche Bevorratung im März 2020 führte auch zu einem steigenden Interesse an Tiefkühlgemüse. Verglichen mit Zeiten vor der Pandemie besteht hier immer noch eine höhere Nachfrage.

Transaktionen von Bankkarten im niederländischen Lebensmitteleinzelhandel zeigen höhere Ausgaben pro Einkauf, aber auch weniger Einkaufsfahrten pro Verbraucher
DIe Differenz zwischen dem tatsächlichen Trend und dem vor der Corona-Pandemie, basierend auf monatlichen und saisonbereinigten Daten:

Quelle: ING Research, basierend auf ING-Daten

4. Bisher positive Bilanz bezüglich Umstellung auf gesündere Ernährung
Die Corona-Pandemie hat sowohl das Interesse an einer gesünderen Ernährung als auch an dem Immunsystem geweckt. Google-Suchen nach 'Obst' und 'Gemüse' erreichten während der ersten Welle ihren Höhepunkt. Vitamin-C-reiche Produkte wie Zitrusfrüchte waren in dieser Zeit sehr gefragt. Derzeit liegt die allgemeine Suchaktivität in vielen Ländern deutlich unter dem Höchstwert aus diesen Zeiten. Sie ist aber immer noch etwas höher, wenn man sie mit den Werten vor der Pandemie vergleicht. Unterdessen weisen Untersuchungen wie die einflussreiche ZOE Covid-Studie aus Großbritannien auf eine gewisse Verhaltensänderung der meisten Haushalte bezüglich ihres Obst- und Gemüsekonsums hin. Während einige Haushalte positive und andere negative Veränderungen meldeten, war doch insgesamt ein Anstieg des täglichen Verzehrs von Obst- und Gemüse zu verzeichnen.

Zu Beginn der Covid-Pandemie erreichte das Interesse an Obst und Gemüse seinen Höhepunkt
Suchaktivität bei Google auf einer Skala von 0 (kein Interesse) bis 100 (maximales Interesse) in mehreren Ländern, basierend auf vierwöchigen Zeiträumen:

Quelle: Google, ING Research

"Wir gehen davon aus, dass einige Veränderungen im Verbraucherverhalten anhalten werden, während andere sich allmählich wieder umkehren, sobald sich das Verbraucherverhalten nun zu einer neuen Normalität entwickelt."

Verschiebung von Offline zu Online wird sehr zäh sein, so die Erwartungen
Das Wachstum der Lebensmittelverkäufe per Internet verlangsamt sich nach einer einjährigen Markterholung. Im Juni 2021 gingen die gesamten Online-Lebensmittelumsätze in Großbritannien sogar erstmals im Jahresvergleich zurück. "Unserer Ansicht nach kann dieser Rückgang auch damit zusammenhängen, dass der Lebensmitteleinzelhandel einige Einnahmen an Out-of-Home-Kanäle verliert", heißt es in dem Bericht. Dennoch bleiben die Ausgaben für Lebensmittel aus dem Internet im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie höher. Ein Rückgang des Online-Marktanteils am gesamten Lebensmittelumsatz scheint unwahrscheinlich.

Auf der Nachfrageseite haben sich mehr Verbraucher an die Internetbestellungen gewöhnt, zumal es mehr Möglichkeiten gibt, die ihren spezifischen Bedürfnissen entsprechen. Der Anstieg der Online-Verkäufe von Non-Food-Produkten zeigt auch, dass Menschen, die einmal ihre Gewohnheiten geändert haben, dazu neigen, daran festzuhalten. Die Angebotsseite ist dank Investitionen sowohl von Multichannel-Händlern als auch von Pure Playern (reiner Internethandel und -vertrieb) weiterhin sehr dynamisch. Beispiele dafür sind die jüngsten finanziellen Mittelbeschaffungen für Schnelllieferunternehmen und die Konsolidierung für das niederländische Unternehmen Picnic mit 600 Millionen Euro.

Erhaltung der Marktanteile durch den Verzehr daheim
Das Gleichgewicht zwischen den Ausgaben für Lebensmittel für den Verzehr daheim und auswärts kehrt allmählich zurück. Doch in den kommenden Jahren besteht noch viel Nachholbedarf bezüglich des Konsums von Nahrungsmitteln außerhalb der eigenen vier Wände. Arbeiten oder Studieren von zu Hause aus ist für viele Menschen immer noch sehr aktuell. Auch bei Geschäftsreisen ist keine vollständige Erholung des Marktes in Sicht. Beide Trends führen zu weniger Anlässen für den Außer-Haus-Verzehr. Allerdings gibt es, wie schon zuvor erwähnt, regionale Unterschiede. Denn der Anteil der Bevölkerung, der von zu Hause aus arbeiten kann und wird, ist in Nord- und Westeuropa im Allgemeinen viel höher als in Süd- und Osteuropa.

Schwindende Notwendigkeit für größere Einkaufstouren 
Die Auswirkungen von Restriktionen und Ausgangssperren auf die Größe des durchschnittlichen Warenkorbs sind weitgehend verschwunden. Was bleibt, sind in einigen Ländern die Vorschriften zum Tragen einer Gesichtsmaske in Innenräumen und eine mögliche Wiedereinführung einiger Beschränkungen im Zusammenhang mit Corona. Da die höhere Zahl an größeren Einkaufsfahrten in erster Linie aus der Not geboren wurde, ist es weniger wahrscheinlich, dass dieser Trend nach der Pandemie anhält. Gleichzeitig können kleinere Einkaufsfahrten zu kleineren Lebensmittelläden aufgrund weniger Arbeit(skräfte) und touristischer Passanten unter Druck bleiben.

Gesündere Ernährung: Werden sich die politischen Entscheidungsträger verstärkt um die Erhaltung der erzielten Fortschritte bemühen?
Dass Corona auch noch zu Beginn der diesjährigen Grippesaison existiert, könnte ein Vorteil für den Verkauf von Obst und Gemüse sein. Denn eine gesunde Ernährung kann dem Immunsystem zu einer weiteren 'Verteidigungslinie' verhelfen. Im Vergleich zu 2020 können sich jedoch viele Menschen nun auch auf den Schutz durch die Impfstoffe gegen Corona und Grippe verlassen. Ob sich die Menschen weiterhin an die empfohlene tägliche Essensration von Obst- und Gemüse halten werden, wenn die Angst vor Corona nachlässt, bleibt die große Frage. Dies bleibt abzuwarten, zumal sich an unserem Ernährungsalltag nicht viel geändert hat. Langfristig wird jedoch sehr viel davon abhängen, ob die Politik die jetzige aktuelle Dynamik zur Ergreifung von Maßnahmen nutzt, um die Menschen zu einem gesünderen Lebensstil zu bewegen.

Veränderungen im Verbraucherverhalten haben in der Phase nach der Pandemie ein anderen Grad an 'Trägheit'
Vier Verschiebungen und ihre Wahrscheinlichkeit, dass sie bestehen bleiben:

Quelle: Quelle: ING Research

Unternehmen und Lieferanten von Frischwaren bereiten sich auf die nächste Phase vor. Die Verbrauchergewohnheiten haben sich infolge der Pandemie geändert und das Verhalten der Menschen wird sich weiterentwickeln, obwohl sich das Tempo der Veränderungen wahrscheinlich verlangsamen wird. Nach den bereits erwähnten vier Verschiebungen gibt es auch vier Bereiche von strategischem Interesse für Obst- und Gemüseunternehmen.

1. E-Commerce schafft neue Möglichkeiten
Frischwarenunternehmen erzielen einen Großteil ihres Wachstums im Online-Geschäft durch das Zusammenwachsen mit den Multichannel-Händlern, die sie bereits beliefern. Gleichzeitig haben sich Online-Player wie Hello Fresh, Ocado, Picnic und Rohlik zu einem 'neuen' Vertriebssegment mit breitem Angebot insbesondere für Frischwarenanbieter entwickelt. Mehr E-Commerce führt dazu, dass sich der Markt für Obst und Gemüse noch mehr der Just-in-Time-Situation annähert, da Online-Händler ihre endgültigen Bestellungen oft erst dann aufgeben, wenn die Ware bereits verkauft ist. Obwohl der Online-Verkauf noch relativ klein ist, bietet dieses Segment Chancen für Innovationen. Das schließt auch die Möglichkeiten zum Verkauf exklusivere Produkte aufgrund des geringeren Abfallrisikos  ein. 

2. Unternehmen überdenken die Definition der Begriffe 'zu Hause' und 'außer Haus'
Aufgrund der Konzentration auf die Belieferung des Einzelhandelskanäle war in den letzten anderthalb Jahren im Allgemeinen ein überwiegend positiver Anstieg der Verkaufsmengen in dieser Sparte die größeren Spieler in der Frischwarenindustrie zu verzeichnen. Viele Lieferanten haben eine engere Zusammenarbeit mit Einzelhändlern gesucht. Diese Zusammenarbeit war während der ersten Corona-Welle dringend erforderlich, um die Verkaufsregale ausreichend zu bevorraten. Die Verschiebung des Konsum nach 'zu Hause' war für viele engagierte Anbieter im Food-Service und Catering eher negativ. Wahrscheinlich werden die Frischwarenunternehmen ihre Investitionen zunehmend auf den Einzelhandelskanal konzentrieren. Die auf die Belieferung von Segmenten wie Catering ausgerichteten Kapazitäten könnten dagegen eher unter Druck geraten.

3. Frische Produkte spielen eine zentrale Rolle beim Wettbewerb zwischen Einzelhändlern
Verbraucher, die sich für größere Einkaufstouren entschieden, tendierten zu einer Bevorzugung von bestimmten Supermärkten. Im Jahr 2020 übertraf das Wachstum der Full-Service-Händler sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden dem der Discounter. Anderswo schnitten (regionale) Einzelhändler mit Geschäften in der Nähe der Verbraucher besser ab als SB-Warenhäuser. So zum Beispiel in Spanien. Einige Einzelhändler werden sich in der Zukunft darauf konzentrieren, dieses Blatt zu wenden. Sie werden außerdem versuchen, verlorene Marktanteile zurückzugewinnen. Dabei werden sie wahrscheinlich mehr auf ihre Werbeaktivitäten bei Frischprodukten achten, um Verbraucher anzuziehen.

4. Die Gelegenheit ergreifen, um gesündere Ernährungsweisen länger durchzuhalten
In Bezug auf das Marketing konnten Frischwarenunternehmen von einer beispiellosen Welle kostenloser Werbung im Zusammenhang mit der Coronakrise profitieren, aber das wird allmählich verblassen. Die Auswirkungen der Pandemie in gesundheitlicher und finanzieller Hinsicht liefern dem Obst- und Gemüsesektor jedoch ein starkes Argument, um die Bedeutung einer gesunden Ernährung bei den  politischen Entscheidungsträgern zu betonen. Die Unterstützung der Ernährungspolitik ist ein Schlüsselelement. Damit kann die Umstellung auf eine gesündere Ernährung besser und schneller bewerkstelligt werden.

Neben den hier in diesem Artikel hervorgehobenen Entwicklungen auf der Nachfrageseite werden Preise und Konsum von Obst und Gemüse natürlich auch von der saisonalen Verfügbarkeit der Produkte beeinflusst. Schlechte Ernten aufgrund widriger Witterungsbedingungen und Unterbrechungen der Lieferkette, wie steigende Transportkosten und Arbeitskräftemangel, haben ebenfalls einen großen Einfluss auf die Verfügbarkeit und den Endverbrauch. Das war schon vor der Coronapandemie der Fall. Dieses Phänomen wurde aber besonders während der ersten Welle der Pandemie noch deutlicher sichtbar. Jetzt, wo wir auf dem Weg der Erholung und raus aus der Coronakrise sind, spielen diese wichtigen Faktoren eine größere Rolle und werden sich weiterhin auf die Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit dieser spürbaren Verbraucherverschiebungen auswirken.

Quelle: ING 

Erscheinungsdatum: