Außergewöhnliche Wetterkapriolen – etwa Spätfrost und Hagel – sowie die andauernden Corona-Auflagen und damit einhergehend erneute Einreisebeschränkungen für Erntehelfer aus dem Ausland: Die Vorzeichen zur bevorstehenden, deutschen Gemüse-Ernte seien nicht unbedingt positiv. Wir sprachen mit Rudolf Behr, dem Vorstandsvorsitzenden des norddeutschen Gemüsekonzern Behr AG: „Kurzfristige Lösungen aus dem letzten Jahr werden jetzt dauerhaft gebaut.“
Wie ist die Situation zu Beginn der diesjährigen Freilandsaison im Hinblick auf die aktuelle Witterung und Vermarktungssituation?
Rudolf Behr: „Wir schätzen, dass wir etwas später in die Ernte kommen. Der Kälteeinbruch Ende März/Anfang April wird Auswirkungen auf den Start haben. Gleichzeitig wird Südeuropa eher früher fertig werden, so dass eine Lücke in einigen Kulturen unvermeidlich erscheint. Das betrifft besonders Kohlrabi, kann aber auch beim Eissalat so kommen. Beim Mini-Romana sehen wir das nicht. Es ist noch keine deutsche Saison und Spanien ist nicht regional. Durch Corona ist mehr zu Hause gegessen worden und davon hat der LEH profitiert, aber auch die Hofläden, die regionalen Abo-Kisten und der Wochenmarkt. Ob sich der Konsument im LEH auch tatsächlich vermehrt mit regionalen Produkten versorgt hat, ist mir nicht bekannt. Es wurde dennoch allgemein mehr Gemüse im LEH gekauft.“
Rudolf Behr
Inwiefern wirkt sich die aktuelle Krise auf den Gemüsebau aus? Wie reagieren Sie auf die Pandemie-bedingten Herausforderungen?
Rudolf Behr: „Es kommt darauf an. Wer seine Freilandproduktion auf Verarbeiter ausgelegt oder einen großen Gastro-Anteil in seiner Produktion hat, der ist nicht sehr glücklich. Wer seine Kunden im LEH hat, der hat keine Probleme. Alle haben das Problem, die Mitarbeiter und damit auch die Saisonkräfte vor Corona schützen zu müssen. Wir haben bei den Saisonkräften nur dann Probleme, wenn sie einreisen. Da kommt es schon mal vor, dass wir einen Corona-Fall haben, der dann mit der Reisegruppe in Quarantäne muss. Deshalb haben wir auch für die verlängerte Arbeitszeit auf 115 Tage plädiert, um Anreisen zu minimieren. In der Arbeitszeit ist bei uns kein Fall von Corona aufgetreten.“
„ Allerdings haben wir in unserem hessischen Betrieb von Angestellten aus dem Büro kurzfristig eine Übertragung von Corona auf die Saisonkräfte gehabt. Es kommt also immer von außen. Durch eine strikte Gruppenquarantäne beim Arbeiten, Wohnen und Einkaufen verhindern wir die Ausbreitung sehr erfolgreich. Bisher sehen wir auch in den Anreisen der Saisonkräfte kein Problem. Allerdings müssen wir erhebliche Aufwendungen zur Arbeitssicherheit und zum Corona gerechten Wohnen betreiben. Kurzfristige Lösungen aus dem letzten Jahr werden jetzt dauerhaft gebaut. Im letzten Jahr mussten wir 1,2 Millionen Euro dafür investieren und in diesem Jahr wird der Betrag noch wesentlich höher ausfallen.“
Eissalat unter Vlies
Bio-Gemüse gehört zu den Schwerpunkten Ihres Unternehmens: Wie entwickelt sich der Bio-Markt und wie reagiert die Behr AG auf diese Entwicklungen?
Rudolf Behr: „Wir haben unseren Bio-Anbau im Vergleich zum Vorjahr noch mal um rund 100 Hektar ausgeweitet und liegen nun bei über 400 Hektar. Die Flächenkapazitäten an unseren Bio-Standorten sind damit aber noch lange nicht ausgeschöpft. In den Kulturen ist wenig Bewegung. Wir wachsen im Bio-Anbau durch die Aufnahme und Forcierung neuer Kulturen. Das Spektrum der Arten wird verbreitert. Oft wird bei kleinen Artikeln ein Austausch vorgenommen, so dass der Artikel nur noch in Bio gehandelt wird.“
„Wir sehen den veröffentlichten Boom bei Bio etwas mit Sorge, da wir an dem tatsächlichen Kaufverhalten der Konsumenten unsere Zweifel haben. Ich denke, das Schlimmste, was dem Sektor finanziell passieren könnte, ist eine tatsächliche Ausdehnung der Anbaufläche auf das von der Politik geforderte Maß. Es ist skurril. Politisch wird eine Produktionsart erzwungen, ohne die tatsächlichen Verbraucherwünsche zu berücksichtigen. Tatsächliche Wünsche zeigen sich im Kaufverhalten und nicht in Statements, die man ins Mikrofon reinhaucht. Wenn allerdings Bio nicht mehr als konventionelles Gemüse kostet, steigt die Nachfrage und die kann dann nicht befriedigt werden. Bei dem Preis gibt es keine Anbauer und auch kein Produkt im Bio-Bereich mehr, denn auch dort lebt man vom Gewinn. Spätestens die Banken erinnern den Anbauer an diese Tatsache.“
Bio-Spinat
Weiterer Schwerpunkt ist die Regalplatzierung innovativer Produkte und Produktlinien (etwa KaRuby und Behr’s Dampfgenuss): Welcher Grundgedanke steckt hinter dieser Strategie?
Rudolf Behr: „Neue Produkte und Produktlinien sind uns ein Herzensanliegen. Das braucht manchmal auch viel Zeit und Geduld. Wir können eine ganze Latte von Produkten aufzählen, die heute erfolgreicher Standard sind und die wir als Pioniere eingeführt haben. Dabei waren oft lange Durststrecken zu durchstehen. Manchmal haben wir das Produkt über Jahre aus dem Programm genommen und dann wieder erfolgreich gestartet. Es gibt sicher ein ‚zu spät‘, aber auch ein ‚zu früh‘. Das ‚zu früh‘ kostet auch Geld, hat aber den Vorteil, dass man zum richtigen Zeitpunkt noch starten kann. Beim ‚zu spät‘, ist es eben zu spät.“
Die Behr AG hat sich zum führenden Gemüsevermarkter Deutschlands entwickelt: Inwiefern gibt es noch weiteres Wachstumspotenzial für Ihr Unternehmen?
Rudolf Behr: „Zur BEHR-Gruppe zählen heutzutage fünf eigene Anbaubetriebe, vertreten an vier Standorten in Deutschland und einem in Spanien. Zudem ist die BEHR AG als Vertragsvermarkter der Mecklenburger Ernte für die Vermarktung der Erzeugnisse von elf weiteren Erzeugern zuständig. Wir werden mit der Nachfrage wachsen. Es zeichnet sich ab, dass Verlässlichkeit und ein rundes Jahresprogramm in der Kundenlandschaft einen höheren Wert bekommen. Das wollen wir als Anbaubetrieb ausbauen.“
„Im bodengebundenen Freilandanbau ist die Mangelressource der Betriebsleiter, der sich eine 7-Tage-Woche vom ersten Sonnenstrahl bis zur Dunkelheit antut. Aber nur der kann erfolgreich einen Betrieb führen, wenn er dazu noch durchsetzungsfähig und detailbesessen ist. Das bedarf auch einer sensiblen Orchestrierung der Gemengelage. Auch selbstständige Betriebe sind herzlich willkommen, wenn sie in das ‚Orchester‘ passen und mitspielen wollen. Da sind wir sehr genau, denn Dissonanzen beleidigen die Ohren und tun auch dem Kundenverhältnis nicht gut. Wir haben Interessenten, die bei uns mitmachen wollen, und wir prüfen, ob es passt.“
Während der Pflanzung
Ein weiterer Faktor zu Pandemiezeiten ist der Wegfall des Messewesens: Wie sehen Sie diese Entwicklung und gibt es aus Ihrer Sicht eine vernünftige Alternative?
Rudolf Behr: „Messen und Veranstaltungen haben den Vorteil, dass man in kurzer Zeit geballt mit den Kunden Kontakt hat und Dinge vorbespricht. Eine Vertiefung erfolgt dann später im direkten Kontakt. Beides ist derzeit nicht möglich und insofern ist auf beiden Seiten wenig Bewegung. Gerade bei neuen Produkten ist ein persönliches Gespräch und eine Demonstration unabdingbar und das leidet. Online-Events sind da nur eine Notlösung, aber besser als gar nichts.“
Wie sehen Sie schließlich die Zukunft der deutschen Gemüseerzeugung? Wo sehen Sie Chancen bzw. Herausforderungen in den nächsten 10-20 Jahren?
Rudolph Behr: „Der bodengebundene Freilandanbau, egal ob im Bio-Anbau oder im konventionellen Teil, wird sich in den Naturabläufen integrieren müssen und das ist auch möglich. Wir werden auch in Zukunft beide Ziele, ausreichend gesundes Gemüse und eine nachhaltige Kultur und Naturpflege, hinbekommen. Davon bin ich überzeugt. Das wird durch Technik und Automatisierung möglich gemacht. Gezielte Kulturmaßnahmen und die Digitalisierung ermöglichen, dass wir einen schonenden Umgang mit den Naturressourcen hinbekommen.“
„Allerdings sind das Spezialgeräte, die sich nur bei bestimmten Kulturen und bei ausreichender Menge lohnen. Deshalb wirkt ein Fruchtwechsel nicht behindernd, auch eine natur- und umweltfördernde Feldeinteilung nicht. Es werden aber Größenordnungen verlangt, die in einer Region nicht konsumiert werden können. Das wird den Sektor revolutionieren, sowohl im biologischen als auch im konventionellen Anbau. Die beiden Anbauformen, Bio und Konventionell, werden sich immer ähnlicher werden und in ferner Zukunft wird wissenschaftsbasierter Umweltschutz in beiden Anbauformen Einzug halten und Erfolge messbar aufzeigen.“
Dieses Interview erschien neulich im internationalen Sonderheft des Fachmagazins Primeur.
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